Das Museumsprojekt in der alten Synagoge in Flehingen
Alte Synagoge endgültig zerstört: Abriß im Februar 2016
Baugitter verwehrten den Zugang schon länger. Neues Absperrband kündigte das Unheil an. In der Frühe kamen dann die Bagger und stießen ihre Metallschaufeln in das Haus. Schränke flogen auf, der Herd stürzte um und die letzten Bilder wurden von der Wand gerissen.
Eines der letzten Gebäude, die von der reichen und bewegeten jüdischen Geschichte hätten erzählen können, wurde dem Erdboden gleichgemacht.
Zeit für eine Evakuierung der zugesagten Gegenstände wurde dem Verein nicht gewährt.
Bis heute ist das Gelände ungenutzt und dient als Abstellfläche für PKW und Container.


Unsere Petition ist entschieden
Der Landtag Baden Württemberg hat endgültig und offiziell am vergangenen Dienstag, den 15.Oktober 2013 über unsere Petition entschieden.
Dabei haben sich die Abgeordneten Thomas Funk (Wahlkreis Sinsheim, SPD) und Alexander Salomon (Wahlkreis Karlsruhe, Die Grünen) sehr für uns eingesetzt.
Am Ende steht die Sicherung des Kulturguts i.S.v. erhaltenswerter Teile des Denkmals. Der Kompromiß sieht folgendes vor: Eine Erhaltungsverfügung gibt es nicht, aber ein Abbruchantrag wird nur unter erheblichen Auflagen und Bedingungen genehmigt werden. So erhält der Museumsverein vorher die Gelegenheit zu eine Bauaufnahme, d.h. der Dokumentation und Vermessung. Zudem werden uns Teile des Gebäudes überlassen. An einem nachfolgenden Gebäude wird eine Informationstafel angebracht.
Es wurde ausdrücklich festgehalten, daß das Gebäudeensemble kulturhistorisch wichtig und bedeutend ist und die Synagogeneigenschaft wird auch bestätigt.
Damit haben wir einen wesentlichen Teil unserer Ziele erreicht. Der Standort wird durch die Infotafel bewahrt und wir haben nun durch die geretteten Teile die Möglichkeit an einem anderen Ort die Synagoge quasi wiederauferstehen zu lassen. Es gibt genügend alternative Standorte für unser Museum.

Ortstermin des Petitionsauschusses in Flehingen
Am 26. Oktober 2012 war es soweit: Der Landtag, besser gesagt, sein Petitionsauschuß sandte eine Abordnung, um vor Ort die Beteiligten anzuhören. Das war einerseits der Museumsverein Flehingen-Sickingen e.V. als Petent, vertreten duch die Vorsitzende Frau Ute Coulmann, Herrn Wolfgang Schönfeld als Sachverständigen für die Synagogen Flehingens und Herrn Christian Strohmenger als Bausachverständigen in Vertretung des Architekten Herrn Dipl.-Ing. Holger Meesmann. Andererseits war das Denkmalamt mit aller Verwaltungsstufen, aber vor allem dem Referatsleiter Herrn Wilhelm zugegen. Der Bürgermeister von Oberderdingen, als Vertreter der Eigentümerin des Gebäudes, war ebenfalls anwesend.
Insbesondere der Berichterstatter, Herr MdL Thomas Funk (SPD) vom Wahlkreis Sinsheim, und Herr MdL Alexander Salomon (Die Grünen) vom Wahlkreis Karlsruhe bemühten sich sehr um ein Verständnis der Situation. Ob der Landtag die Pattsituation irgendwie auflösen kann, wird sich spätestens auf der Sitzung im Januar zeigen.
Erfreulich für uns war vor allem, daß das Denkmalamt ohne irgendein Wenn und Aber unsere Erkenntnis bestätigte, daß es sich bei dem Anbau eindeutig um die ehemalige Synagoge handelt und daß sie einschließlich des als Wicker-Haus bekannten Gebäudes von kulturhistorischer Bedeutung ist. Erfreulich war aber auch, daß so viele Menschen zu unserer Unterstützung an dem Tag in den alten Bahnhof kamen. Allen Mitstreitern, die uns an diesem nervenaufreibenden Tag vor Ort oder in Gedanken begleiteten, sei an dieser Stelle von Herzen Danke gesagt.
Ortschaftsrat unterstützt Museumsprojekt einstimmig
In der letzten Sitzung vor den Sommerferien 2010 haben wir im Ortschaftsrat Flehingen in öffentlicher Sitzung unser Museumsprojekt nochmals erläutern können. Viele von Euch waren ja auch im Publikum. Wir erhielten von Seiten der Ortschaftsräte breite Unterstützung: Der Rat beschloß folgendes einstimmig (!):
“Der Ortschaftsrat Flehingen begrüßt die Absicht des Museumsvereins Flehingen-Sickingen e.V., im unter Denkmalschutz stehenden „Wickerhaus“ in der Samuel-Friedrich-Sauter-Straße ein
ortsgeschichtliches Museum einzurichten.
Der Ortschaftsrat Flehingen bittet den Gemeinderat Oberderdingen zu beschließen:
a) Die Gemeinde ist grundsätzlich bereit, die Planung des Museumsvereins Flehingen-Sickingen e.V., im Gebäude Samuel-Friedrich-Sauter-Straße 14 (Wickerhaus) ein ortsgeschichtliches Museum
einzurichten, zu unterstützen.
b) Das für den Ortsteil Flehingen identitätserhaltende, geschichts- und kulturhistorisch bedeutende Gebäude Samuel-Friedrich-Sauter-Straße 14 (Wickerhaus), ehemalige Synagoge und Betschule von
Flehingen, wird mit einer provisorischen Dachabdeckung geschützt, um den weiteren Verfall zu stoppen.“
Das Begrüßenswerte an diesem Beschluß ist, daß es der Gemeinde frei überlassen bleibt, ob sie auf unser mehrfaches Angebot, die provisorische Dachabdeckung durch uns vorzunehmen, zurückgreift, oder die Arbeiten selbst (ggf. durch eine Fachfirma) durchführt und die Kosten dann selbst trägt.
Die alte Synagoge in Flehingen
Es gibt immer noch Stimmen, die dem Nebengebäude in der Samuel-Friedrich-Sauter-Str. 16 absprechen, jemals eine Synagoge gewesen zu sein. Das ist nicht richtig. Bis 1873 war die Synagoge in Benutzung und bildete gemeinsam mit dem Wohnhaus und der Schule das Zentrum des jüdischen Gemeindelebens.
Hier sind die die Nachweise:
Die Synagoge ist auch aufgelistet in:
Hahn, Joachim und Krüger, Joachim: "Hier ist nichts als Gottes Haus..."
Synagogen in Baden-Württemberg, 2 Bände, Theiss Verlag, Stuttgart 2007
Band. 2.
und im Internet unter
http://www.alemannia-judaica.de/flehingen_synagoge.htm
http://ka.stadtwiki.net/Judentum_in_Flehingen

Die alte Synagoge in Flehingen
In der Samuel-Friedrich-Sauter-Str. 16 in Flehingen steht eine traurige Ruine. Unkraut wächst aus dem Dach, Regenwasser dringt in die Räume, Fensterläden schützen nicht mehr vor dem Sonnenlicht. Viele im Ort fordern den Abriß. Schandfleck sagen sie. Wirtschaftlicher Unsinn, Geld in ein altes, unwichtiges Bauernhaus zu stecken. Die Gemeinde hat dort Garagen für ein Objekt geplant. Die Kreditgeber stehen schon bereit.
Wer genauer hinsieht, der erkennt eine kleine Inschrift über dem Eingang des Gebäudes. In deutscher Sprache, aber in hebräischen Schriftzeichen steht dort: „Gebaut von Gemeindevorsteher Mosche Bierig und seiner Frau Keile” und die Jahreszahl 1852, verbunden mit dem biblischen Wunsch „Es sollen deine Scheunen voll und deine Kelter von Wein überlaufen”. Ein Judenhaus, wie man in Flehingen sagt. Davon hat es in Flehingen viele.
Das ehemalige Hinterdorf rund um die Judengasse (heute die Samuel-Friedrich-Sauter-Straße) beherbergte während seiner Blütezeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts über 160 jüdische Einwohner. In Flehingen und Sickingen, damals noch zwei Dörfer, wohnen zu diesem Zeitpunkt insgesamt ca. 1100 Bürger. Die Juden machen fast 15% der Bevölkerung aus. Zur jüdischen Gemeinde zählten damals auch noch die 13 Juden aus Bauerbach. Viele lebten vom Viehhandel oder hatten Ladengeschäfte.
Wohl seit Mitte des 17. Jahrhunderts gab es in Flehingen einen Betsaal; seit 1808 ist er als Anbau an ein Wohnhaus nachgewiesen. Dabei könnte es sich bereits um den am Haus mit der heutigen Hausnummer 16 gehandelt haben. Zudem gab es im Ort ein rituelles Bad und einen großen jüdischen Friedhof.
1819 wird das Wohnhaus erstmals umgebaut. 1837 kauft Moses Bierig das Gebäude mit dem Synagogen-Anbau vom Juden Herz Weingärtner. Moses Bierig ist der Gemeindevorsteher. In einem Zimmer seiner Wohnung findet noch der Schulunterricht für die jüdischen Kinder statt. Dort sind die Verhältnisse sehr beengt und unzweckmäßig. Auch in der Synagoge im Anbau, der der israelitischen Gemeinde gehört, ist kaum noch Platz für alle Glaubensgenossen. Der Viehhandel gedeiht, immer öfter kann bei Christen wie Juden Fleisch auf den Tisch kommen, die gesellschaftliche Gleichstellung der jüdischen Bürger schreitet voran und wird in Baden 1862 auch rechtlich erreicht. Die Synagoge in der Samuel-Friedrich-Sauter-Str. 16 ist der Kern des blühenden jüdischen Lebens in Flehingen, aber einfach zu klein.

Ab 1840 plant Moses Bierig deshalb den Neubau einer Synagoge und der jüdischen Schule. Die Schule kann 1853 in ein Gebäude im "Hinterdorf" umziehen, das die israelitische Gemeinde mittlerweile erworben hatte. 1852 kann Moses Bierig sein eigenes Wohnhaus gründlich renovieren. Es erhält die Verzierung mit dem oben beschriebenen Segensstein mit dem Zitat aus Sprüche 3 Vers 9 und 10. Doch die Situation in der Synagoge bessert sich nicht. Man hat 1.000 Gulden zusammen, doch ein Neubau würde ca. 6.000 Gulden kosten. Wenn man aber ohnehin einen Neubau plant, sind Renovierungsarbeiten an der alten Synagoge eigentlich Verschwendung. Also wird wieder und wieder notdürftig geflickt und ausgebessert, um die Mittel für den Neubau zu schonen. Obwohl katholisches wie evangelisches Pfarramt den Neubau unterstützen und befürworten, er kommt einfach nicht zustande. 1861 befindet sich die Synagoge schließlich in einem erbärmlichen Zustand. 1862 wird zumindest die Treppe zur Frauenempore notdürftig repariert. 1863 hat man schon 3.000 Gulden zusammen. Aber erst 1873 ist es geschafft: Die neue Synagoge, selbstbewußt in der Nachbarschaft von Schloß und Rathaus erbaut, kann im Mai 1874 eingeweiht werden. Sie wird später 1938 beim Novemberpogrom verwüstet und zerstört. Daran erinnert noch eine kleine Gedenktafel neben dem ehemaligen Synagogengrundstück, heute die Volksbank.
Doch soweit ist es noch lange nicht. 1873 lebt man noch neben- und miteinander. Die neue Synagoge ist der Stolz der jüdischen Gemeinde. Die alten Gebetsräume, nun überflüssig, werden profaneren Zwecken zugeführt. Zunächst gelangt sie nach dem Neubau naheliegend in den Besitz der Familie Bierig, die Wohnräume darin einrichtet. 1884 wird sie rückgebaut, d.h. das oberste Stockwerk mit der Frauenempore entfernt, der Dachstuhl erhält eine andere Ausrichtung und der ehemalige Gebetsraum wird schlichte Lagerfläche für Heu und Stroh. 1897 verkauft Joseph Bierig das Anwesen an den Christen Johann Sitzler. Viele Landjuden ziehen in die Städte, andere wandern ganz aus. Ziel sind unter anderem die Vereinigten Staaten, wo erfahrene Viehhändler schnell ihr Glück machen können. Christen ziehen vermehrt auch ins Hinterdorf. 1919 erwirbt das Anwesen schließlich die Familie Wicker. Seit 1988, dem plötzlichen Tod von Martha Wicker, ist es dann unbewohnt und steht leer. 1999 deckt Orkan Lothar das Dach ab. Die Gemeinde Oberderdingen, obwohl zu diesem Zeitpunkt nicht Eigentümer des Hauses, rettet mit einer Notabdeckung das inzwischen unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Sie erwirbt es erst 2009. Orkan Kyrill zerfetzt 2007 die Reste der Notabdeckung. Seither arbeiten Wind und Wetter an seinem Verfall. Ein Fachwerkhaus wäre längst zerstört. Aber ein Haus aus Stein, in dem gläubige Hände „den Herrn ehrten mit ihrem Gut und ihrem Einkommen”,wie Sprüche 3 Vers 9 und 10 vollständig lautet, kann noch einige Zeit länger bestehen. Und noch immer legen kleine Details wie eine hübsch verzierte Klinke, der kunstvoll behauene Türrahmen oder die Inschrift am Haus von dieser Geschichte Zeugnis ab.

Zunächst verhindert nun nur das Denkmalamt den Abriß, indem es sich weigert, den Denkmalschutz aufzuheben. Aber die Gemeindeverwaltung hat andere Vorstellungen, was das Grundstück betrifft. Sie kauft zunächst 2008 das intakte Nachbarhaus, auch im Ursprung ein Judenhaus, und reißt es unmittelbar nach dem Erwerb ohne ersichtlichen Grund ab. So ist Platz geschaffen für ein großes Mehrfamilienhaus. Garagenplätze werden gebraucht. Die Fa. Südbau stellt plötzlich entsprechende Pläne für das Gesamtgrundstück vor. Die Eigentumslage bleibt allerdings unübersichtlich: Kleine, wenige Quadratmeter große Gärten liegen dazwischen und gehören Anwohnern und anderen Bürgern. Die ersten tauschen ihre Grundstücke gegen besser erschlossene oder verkaufen die Gärten. Die Gemeinde hat noch viele plakative Fachwerkhäuser in Oberderdingen zu renovieren und ohnehin überhaupt kein Geld mehr. Es fehlt nicht viel zur Zwangsverwaltung. Die Wirtschaftskrise macht auch vor Oberderdingen nicht halt. Das wissen auch die Bürger. Aber ein Investorengrab direkt vor der Haustüre wollen sie auch nicht. In Flehingen herrscht alles andere als Wohnungsnot. Im Hinterdorf stehen einige Häuser leer.
2009 gründen zwanzig Entschlossene deshalb den Museumsverein Flehingen-Sickingen e.V., um dieses intensive Zeugnis jüdischen Lebens in Flehingen zu erhalten. Zunächst werden sie ausgelacht, manche möchten ohnehin keine Gedenkstätte, die sie an die während der Nazizeit ermordeten Flehinger Bürger jüdischen Glaubens erinnert. Dabei hätte dieses Gebäude vor allem über die Zeit davor so viel zu erzählen. Interessanterweise ist die Blütezeit des jüdischen Lebens in Flehingen eng verwoben mit der Zeit des berühmtesten Sohnes der Gemeinde: Samuel Friedrich Sauter (1766-1846). Er war Dorfschullehrer und Volksdichter und wurde nur wenige Schritte entfernt von der Synagoge geboren. Seine Gedichte waren äußerst populär, aber einige waren auch voll unfreiwilliger Komik. Bald erschienen ironische Gedichte auf Sauter, der als Weiland Gottlieb Biedermeier parodiert wurde. Dieser Name wurde dann übertragen auf die ganze Epoche.
Der Museumsverein möchte genau für diese Blütezeit in seinem Museum einen Schwerpunkt setzen. Weil in der gesamten Ortsgeschichte christliche von jüdischer Geschichte nicht zu trennen ist, sollen andere Epochen nicht ausgeklammert werden. Wenig Gebäude würden sich für ein solches Museum so sehr anbieten wie der Gebäudekomplex von "Wicker-Haus" und alter Synagoge.
Der Verein hat der Gemeinde mehrfach angeboten, für eine vorläufige Dachabdeckung zu sorgen und seine Konzeption für das Museum im Dezember 2009 im Gemeinderat vorgestellt. Der Verein würde die Finanzierung vollständig übernehmen. Von der Gemeinde will er keine Mittel, nichts als die Zustimmung zum Projekt. Leider zögert die Verwaltung nach wie vor. Immerhin konnte so erreicht werden, daß der Denkmalschutz nicht mehr ohne weiteres aufgehoben werden kann. Diese Pattsituation wird sich allerdings durch den Zeitablauf verändern: In wenigen Monaten wird das Gebäude so stark beschädigt sein, daß jede sinnvolle Nutzung, auch bei viel ehrenamtlicher Arbeit, nicht mehr in Betracht kommt. Immerhin hat sich im Mai 2010 der Ortschaftsrat Flehingen einstimmig und über alle Parteigrenzen hinweg zum Erhalt entschlossen und den Gemeinderat Oberderdingen aufgefordert, entweder selbst die alte Synagoge zu retten oder es endlich den engagierten Bürgern zu gestatten. Nun besteht also doch wieder Hoffnung, die alte Synagoge in Flehingen zu retten.
Ute Coulmann, Flehingen
Dieser Text erschien erstmals als Titelgeschichte der Herbstausgabe 2010 der Mitgliederzeitung von Jüdisches Leben Kraichgau e.V.